Predigttext aus 1. Brief des Paulus an die Thessaloniker, 15-23

 

Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. Seit allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen: denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles, und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.

 

Predigt :

 

Dankbarkeit. Seid dankbar in allen Dingen ermahnt Paulus die Thessaloniker. Seit Dankbar predigte auch Albert Schweitzer 1919 seiner Gemeinde zu Saint-Nicolai, und er würde es auch heute uns hier in der Auferstehungskirche zurufen wollen. Dankbarkeit war ein zentraler Punkt in Albert Schweitzers Leben und massgeblich dafür verantwortlich, das Schweitzer sein Leben und sein Beruf in Strasbourg aufgegeben hat und nach Afrika, nach Lambaréné gegangen ist und dort ein Krankenhaus gegründet hat.

 

Aber wie kam die Entscheidung zustande ?

 

Albert Schweitzer erlebte seine Kindheit und Jugend als Pfarrerssohn um 1880 als glücklich. Ihm war aber auch gegenwärtig, dass es viele seiner Schulkameraden nicht so gut hatten wie er selbst, sie hatten weniger zu essen, schlechtere Kleider und alte Schuhe. Er fühlte sich oft bevorzugt ohne selbst dafür verantwortlich zu sein.

 Er schreibt deshalb : Es kam mir unfassbar vor, dass ich, wo ich so viele Menschen um mich herum mit Leid und Sorge ringen sah, ein glückliches Leben führen durfte…. Auf der Universität musste ich in meinem Glücke, studieren zu dürfen und in Wissenschaft und Kunst etwas leisten zu können, immer an die denken, denen materielle Umstände oder die Gesundheit solches nicht erlaubten.

Und was folgert Albert Schweitzer daraus ?

Er dürfe dieses Glück nicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen, sondern er muss für dieses Glück etwas geben. So fasst er als 21jähriger Student den Entschluss, sich ab dem 30. Lebensjahr dem unmittelbaren menschlichen Dienen zu widmen. Acht Jahre später, im Alter von 29 Jahren beschliesst Schweitzer Medizin zu studieren um als Arzt nach Afrika zu gehen. 1913 kommt Schweitzer mit seiner Frau nach Lambaréné und gründet das heute noch bestehende Spital.

 

Was veranlasste also Schweitzer seine Stelle als Professor und Leiter des evang. Thomasstifts aufzugeben, um das Wagnis auf sich zu nehmen in Afrika ganz neu anzufangen. Dankbarkeit, aus Dankbarkeit für seine glückliche Kindheit, aus Dankbarkeit seinen Eltern gegenüber, aus Dankbarkeit für die Schul- und Universitätsausbildung, aus Dankbarkeit für die vielen Menschen die ihm diese Entwicklung ermöglicht hatten, aus Dankbarkeit für seine robuste Gesundheit. Wer von uns käme auf die Idee und hätte den Mut alles aufzugeben für eine ungewisse und damals auch sehr gefahrvolle Zukunft in Afrika ?

 

Deshalb möchte ich mit ihnen zusammen versuchen, Schweitzers Konzept von Dankbarkeit zu entdecken. Zum besseren Verständnis unterscheidet er zwei Aspekte der Dankbarkeit. Zum ersten die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit für Gutes das einem selbst zuteil wird; Schweitzer nennt das die Empfindung von Dankbarkeit oder Dankbarkeitsgefühl. Erst dann kann ich auch meine Dankbarkeit ausdrücken in Wort und Tat; Schweitzer nennt diesen 2.Schritt Bekundung von Dankbarkeit.

Zum ersten Aspekt, zur Wahrnehmung und Empfindung von Dankbarkeit schreibt Schweitzer :

Sich zum Dankbarkeitsgefühl erziehen will heissen, nichts, von wem es auch komme und was es auch sei, als selbstverständlich hinnehmen, sondern immer den freundlichen Willen, der hinter dem Tun steht, aufzusuchen und schätzen. Nichts von dem, was dir widerfährt, ist selbstverständlich. Alles geht auf einen Willen zum Guten zurück, der auf Dich gerichtet ist. Hier beschreibt Schweitzer sehr schön, dass Dankbarkeit nicht von alleine kommt, nicht einfach ist sondern dass man sich dazu selbst erziehen kann und auch selbst erziehen muss. Ich muss wachsam und aufmerksam sein für die kleinen und grossen Wohltaten meiner Mitmenschen. Wie oft werden mir meine Nachbarn am Sonntagmorgen noch ein Baguette vom Bäcker mitbringen, wenn ich mich nicht dafür bedanke : vielleicht noch zwei- oder höchstens dreimal ? Wenn ich mich aber herzlich bedanke und ihnen vielleicht am Nachmittag von unserem Sonntagskuchen ein paar Stücke bringe, so werden wir wahrscheinlich noch lange Sonntagmorgens ein frisches Baguette vor der Tür finden. Dankbarkeit ist ein Verstärker für gute Taten, und es gibt nur sehr wenige Verstärker für gute Taten. Der Musiker in Albert Schweitzer verbildlicht dies mit einem Streichinstrument : Also bringt die Wohltat, die dir in der Welt begegnet, den richtigen schönen Ton nur hervor, wenn die Resonanz des zum Dank bereiten Gemütes vorhanden ist. Der französische Philosoph Comte-Sponville schreibt ganz ähnlich : Was gibt die Dankbarkeit ? Sie gibt sich selbst, gleichsam als Echo der Freude. Sie ist Vergnügen für Vergnügen, Glück für Glück, Dankbarkeit für Grossherzigkeit. An anderer Stelle beschreibt Comte-Sponville die Dankbarkeit: Dankbarkeit ist Schenken, Dankbarkeit ist Teilen, Dankbarkeit ist Liebe; erwiderte Freude, erwiderte Liebe.

Sehr schön diese Bilder von Schwingungen und Spiegelungen die sich gegenseitig verstärken.    

 

Doch nun zum zweiten Aspekt von Dankbarkeit, dem Bekunden von Dankbarkeit, dem sich bedanken. Schweitzer schreibt dazu :  Das Bewähren von Dankbarkeit ist aber noch mehr und etwas Allgemeineres, als dass ich Menschen, die mir einen Dienst geleistet haben, bei Gelegenheit meinerseits helfe. Es besteht darin, dass ich für alles, was ich Gutes empfangen habe, Gutes tue . Sich zur Ableistung dieser Dankbarkeit erziehen, heisst den Kampf gegen unsere Charakterlosigkeit und Bequemlichkeit aufzunehmen.

Nach der allgemeinen Auffassung von Dankbarkeit bedanke ich mich bei dem Menschen der mir etwas geschenkt hat, der mir geholfen hat oder der mir eine Freude bereitet hat. Wie bedanke ich mich aber für etwas Gutes, das nicht einer Person zuzuordnen ist. Schweitzer nimmt das Bespiel eines Patienten der erfolgreich operiert wurde. Der Patient wird sich natürlich beim Chirurgen bedanken, vielleicht noch bei der OP-Schwester, wahrscheinlich nicht beim Narkosearzt, bestimmt nicht bei der Putzkraft die den Operationssaal sauberhält. Müsste der Patient nicht auch Dankbarkeit verspüren, für die Menschen, die vor langer Zeit die Narkose erfunden haben, oder die Forscher die Bakterien als Erreger von Wundinfektionen erkannt haben und durch deren Mühen eine Infektion verhindert werden konnte ?

 Bei wem könnte sich Albert Schweitzer für seine glückliche Kindheit bedanken?  

Schweitzer geht deshalb weiter und fordert dass ich für alles, was ich Gutes empfangen habe, Gutes tue .

Die Dankbarkeit richtet sich also nicht mehr an die Person die mir einen Dienst erwiesen oder eine Freude bereitet hat, sondern an andere Menschen in meinem Umfeld, sozusagen stellvertretend für die vielen unbekannten Menschen, denen ich nicht danken kann.

 

Schweitzer ruft uns zu : In der Art, wie dir Gutes widerfahren ist, tue Gutes zum Danke. Führe bei Dir selbst Rechnung darüber, ob du den Betrag, den du an das Schicksal und an unbekannte Menschen schuldest, richtig begleichst. Sie geht die anderen nichts an. Mache nur, dass die Rechnung stimmt.

 

Seit allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen: denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.

 

Amen